Jugend und Wanderjahre
Ernst Leitz kam am 26. April 1843 im badischen Städtchen Sulzburg als Sohn des Lehrers Ernst August Leitz und seiner Ehefrau Christina, geborene Döbelin zur Welt.
In der renommierten „Werkstätte für physikalische Instrumente“ von Ludwig Oechsle in Pforzheim wurde Ernst Leitz in den Jahren 1858-1863 zum Mechaniker ausgebildet und besuchte gleichzeitig die dortige Gewerbeschule. Die wichtigste Station auf der anschließenden Wanderschaft sollte ihm die moderne Telegrafen- und Uhrenfabrik von Matthias Hipp in Neuchâtel (Schweiz) werden, wo er die Anfänge der Serienfertigung erlernte.
Auf Empfehlung des aus Gießen stammenden Karl Junker trat Ernst Leitz 1864 in das vormalige optische Institut von Carl Kellner(* 1826) in Wetzlar ein, welcher bereits 1855 verstorben war.
Übernahme der Kellnerschen Werkstätte, Schwerpunkt Mikroskopbau
Dessen Nachfolger, der aus Tübingen stammende Optiker Friedrich Belthle, machte Leitz bereits 1865 zu seinem Teilhaber. 1870, nur wenige Monate nach dem Tode Belthles, wurde Ernst Leitz alleiniger Inhaber des kleinen Handwerkbetriebes.
Zunächst hatte sich die Kellnersche Werkstätte mit dem Bau und der Optimierung von Fernrohren befasst. Dank der wichtigsten Erfindung Carl Kellners, des orthoskopischen Okulars im Jahre 1849, waren die führenden Wissenschaftler Deutschlands, wie C.F. Gauss und Justus v. Liebig, auf die junge Wetzlarer Werkstätte aufmerksam geworden, die sich jetzt mehr und mehr dem Bau von leistungsfähigen Mikroskopen zuwandte. Auch wenn die Kellnerschen Stative mit den besten Stativen ihrer Zeit aus Paris (vor allen Dingen von Georges Oberhäuser) nicht Schritt halten konnten, war die Optik seiner Mikroskope mit großem Sehfeld bei nahezu ebenen Bildern auch bei stärkeren Vergrößerungen denen der Konkurrenz bei Weitem überlegen.
Belthle hatte die Fertigung von Mikroskopen nach Kellners Tod fortgesetzt. Jetzt lag die Zukunft des Unternehmens in den Händen des jungen Mechanikus.
Bereits 1867 hatte Ernst Leitz die Handwerksmeisterstochter Anna Löhr (1844 - 1908) aus Wetzlar geheiratet, die ihm in den Folgejahren zur unentbehrlichen Gehilfin werden und ihn in wichtigen Geschäftsangelegenheiten erfolgreich beraten sollte.
Anwenderorientierte Serienfertigung führte zum Erfolg
Nach Beendigung des deutsch-französischen Krieges 1871 erfuhr die Werkstatt einen erheblichen Aufschwung.
In der zutreffenden Erkenntnis, dass das Mikroskop zum wichtigsten Hilfsmittel der Wissenschaft werden würde, konzentrierte Leitz seine Fertigung auf dieses Instrument und dessen Optimierung. Damit hatte er das richtige Produkt zur richtigen Zeit ausgewählt. Es gelang ihm, beste Qualität mit Preiswürdigkeit zu verbinden, indem er die in der Schweiz erlernten Methoden der rationellen Serienfertigung einsetzte.
Mit dieser Strategie vermochte es Ernst Leitz, die Produktion anzukurbeln und somit die Umsätze nachhaltig zu steigern. Hiermit gewann er früh einen deutlichen Vorsprung vor der Konkurrenz, wobei er immer in engstem Kontakt mit den Anwendern an den Hochschulen und in der Industrie blieb. Indem er deren Anregungen schnellstmöglich umsetzte, wurde sein Unternehmen zum Ende des 19. Jahrhunderts zum Trendsetter in der Mikroskopie.
Erweiterung der Produktpalette ab 1880
Anderen Feldern der Optik wandte sich Ernst Leitz ab 1880 zu. Sein ältester Sohn Ludwig Leitz (1867-1898) widmete sich sehr erfolgreich der Mikro- und Makrophotographie, der Mikroprojektion sowie der Mikrotomie. 1880 erschien die erste große Horizontalkamera von Leitz auf dem Markt.
1881 entstand zur Erleichterung der Präparateherstellung das erste Mikrotom. Ab 1889 gab es den Zeichen-und Projektionsapparat nach Edinger.
Früh hatte Ernst Leitz Bezug zur Normal-Photographie. Schon 1894 bot die Firma den Objektivtyp Duplex für verschiedene Brennweiten an. Weitere Objektive für die Mikro-und die Makrophotographie folgten, wie z.B. Summar und Periplan. Die erste Handkamera („Moment“) erschien um 1900. Projektoren für Großbild-Dias entstanden um 1900, sie wurden zu Vorläufern der später weltweit eingesetzten Epidiaskope. 1910 erregte der 1. Kinoprojektor für flimmerfreie Filmvorführungen Aufsehen. Schließlich erschien 1913 die Ur-Leica, deren späteren Siegeszug der Firmengründer nicht mehr miterleben durfte.
Ab 1907 baute Leitz auch Ferngläser.
Ausbau von Leitz-Niederlassungen im In- und Ausland
Früh erkannte Leitz, dass der Binnenmarkt für die hochwertigen Erzeugnisse der Optik und Feinmechanik nicht ausreichte.
So wurde bereits ab den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts mit Hilfe des Sohnes Ludwig Leitz die Zahl der Niederlassungen und Vertretungen im In-und Ausland mehr und mehr ausgebaut.
Der frühe Tod von Ludwig Leitz 1898 war für die Familie, aber auch für die Firma ein schmerzlicher Einschnitt. Das begonnene Werk des Bruders setzte der zweitgeborene Sohn Ernst (1871-1956) fort, der 1889 als Lehrling in die Firma eingetreten war und 1906 ihr Teilhaber wurde.
Soziales und politisches Engagement
Neben seinen großen Erfolgen im optischen Instrumentenbau sowie in der Unternehmensführung ist die Menschlichkeit von Ernst Leitz hervorzuheben, die er mit hohem sozialen Engagement verband. Seine Tür stand für jedermann offen. Seine 1885 getroffene „Vereinbarung zur Unterstützung in Not geratener oder nicht mehr arbeitsfähiger Mitarbeiter“, ebenso die 1899 geschaffene Invaliden-, Witwen- und Waisenkasse, die im Laufe der Jahre zu einer Pensionskasse ausgebaut wurde, waren beispielhaft und sicherten die Existenz der Werkangehörigen weit mehr als dies die gesetzlichen Versicherungen der staatlichen Sozialkasse vermochten. Der bereits 1906 eingeführte Achtstundentag, ebenso wie die hohe Entlohnung seiner Mitarbeiter, machten ihn zu einer Ausnahmepersönlichkeit unter den Unternehmern seiner Zeit. „Leitzianer“ hatten eine angesehene Sonderstellung weit über Wetzlars Grenzen hinaus.
Geprägt durch seine badische Heimat und sein Elternhaus, engagierte sich Ernst Leitz früh für den fortschrittlichen Liberalismus. Er war Mitbegründer des liberalen Vereins in Wetzlar. Für kurze Zeit war er Mitglied der Wetzlarer Freisinnigen Volkspartei, gehörte gemeinsam mit seinem Sohn Ernst 1918 zu den Mitbegründern der Deutschen Demokratischen Partei in Wetzlar. Von 1897 bis 1902 war Ernst Leitz Mitglied der Stadtverordnetenvertretung, gehörte auch wiederholt dem Kreistag an.
Seiner Wahlheimat Wetzlar ließ er großzügige Spenden zukommen, u.a. zur Errichtung einer Krippe für Pflegekinder und zur Ausgestaltung des Kinderheims in Wetzlar, ferner zur Verschönerung des Stadtbildes. Großzügige Zuwendungen erhielten auch die Nationalstiftung zur Unterstützung der Hinterbliebenen gefallener Kriegsteilnehmer, ferner die Gesellschaft von Freunden und Förderern der Universität Gießen.
Gute Mitarbeiter tragen zum Erfolg des Unternehmens bei
Großes Geschick bewiesen Ernst Leitz und seine Frau Anna auch in der Auswahl ihrer führenden Mitarbeiter. Früh beherrschte Leitz die Kunst, wichtige Aufgaben zu delegieren, Verantwortung an Menschen zu übertragen, die sein Vertrauen durch überragende Leistungen rechtfertigen sollten.
In dem Schweizer Max Günthert fand er ab 1887 einen zuverlässigen Buchhalter und Finanzmann, der, 1899 zum Prokuristen ernannt, maßgeblichen Anteil an der Expansion der Firma, auch ins außereuropäische Ausland, hatte. Er wurde zum Wegbereiter für Henri Dumur, einen Großneffen von Ernst Leitz, der 1903 mit 18 Jahren in die Firma eintrat und ihr 60 Jahre aufs Engste verbunden bleiben sollte. Dumur übernahm bereits 1915 die kaufmännische Abteilung von Günthert. Mit Hilfe seiner zahlreichen Auslandsreisen, auch nach Nord-und Südamerika, gelang es ihm, die im Krieg unterbrochenen Geschäftsbeziehungen neu zu beleben und die Verkaufsorganisationen zu erneuern. Indem er das Unternehmen auf eine gesunde finanzielle Basis stellte, sicherte Dumur der Firma Leitz Wachstumsraten zu Zeiten, in denen die Mehrzahl anderer deutscher Firmen unter den Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs nach 1918 zu leiden hatten.
Letzte Jahre
Dies allerdings sollte Ernst Leitz selbst nicht mehr erleben.
Bereits 1908 hatte er seine treue Gefährtin und Ehefrau Anna verloren.
Das Ende des 1. Weltkrieges, der nationale Zusammenbruch, aber auch der Unfriede hervorgerufen von Kriegsheimkehrern, selbst in der eigenen Firma, sollen ihm ein weiteres Mal das Herz gebrochen haben. In Süddeutschland und in der Schweiz besuchte er noch einmal die Stätten seiner Kindheit und Jugend. Am 10. Juli 1920 verstarb er mit 77 Jahren in Solothurn.
Mit seinem Lebenswerk hat Ernst Leitz die Basis geschaffen, auf der sein Sohn aufbauen konnte. Mit seiner Entscheidung, die Kleinbildkamera Leica in Serie zu fertigen, sollte Ernst Leitz II die Welt der Photographie verändern. Damit haben Vater und Sohn Leitz deutsche Wirtschaftsgeschichte geschrieben.